Marcus Gheeraerts d. Ä. "Der Reiche Mann und der arme Lazarus"
Marcus Gheeraerts d. Ä. "Der Reiche Mann und der arme Lazarus"

Am letzten Sonntag vertrat Pfarrer Karl-Peter Schrapel unsere Pfarrerin Birgit Rengel, die im wohlverdienten Urlaub weilt. Pfarrer Schrapel gelang ein beeindruckender Gottesdienst; die schönen Lieder und seine freundliche Art haben ihn uns schon lang ans Herz wachsen lassen. Seine Predigt aber hat in vielen von uns eine Saite tief im Herzen angeschlagen. Mit seiner Erlaubnis wollen wir sie deshalb an dieser Stelle zum Nachlesen veröffentlichen.
Die Gnade Jesu Christi, unseres Retters und Bruders und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft im Heiligen Geiste sei mit uns allen!
Liebe Gemeinde,
heute geht es einmal um die grundsätzlich Frage:
*Warum gelingt es vielen Menschen nicht, die Gaben und Geschenke ihres Lebens zum Guten  zu nutzen?
Eine Frage, die die Christenheit in ihrer ganzen 2000-jährigen Geschichte immer wieder bedrängte und bedrückte. Das Lukasevangelium erzählt dazu eine bekannte Gleichnisgeschichte, die sich dieser Frage stellt. Sie ist unser Predigttext für heute. Es liest sie für uns jetzt Peter Klaassen. Bei ein paar Takten Musik danach hat jeder von uns Zeit, die Geschichte in sich ein wenig nachwirken zu lassen. Die Erzählung:
[folgt Predigttext: Lukas 16, 19-31]
Vom reichen Mann und armen Lazarus
19Jesus sprach: Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren 21 und begehrte, sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.
22 Es begab sich aber, daß der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.
23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.“ 25 Abraham aber sprach: „Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. 26 Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, daß niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“ 27 Da sprach er: „So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.“ 29 Abraham sprach: „Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.“ 30 Er aber sprach: „Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“ 31 Er sprach zu ihm: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“    [kurzes Orgelzwischenspiel!]
I. GEGEN MISSVERSTÄNDNISSE
Liebe Gemeinde!
Nun gibt es hier einige Möglichkeiten, diese Beispielgeschichte gründlich mißzuverstehen. Darum zunächst zu all dem, was die Erzählung m. E. alles nicht sagen will:
Es geht hier nicht um Vertröstung in dem Sinne: Grämt Euch nicht, wenn es Euch heute schlecht geht. Bei Gott werden die Verhältnisse genau umgedreht. Also keine billige Vertröstung auf’s Jenseits.
Ebenso wenig geht es hier um eine Beschreibung des Lebens nach dem Tode, mit den altvertrauten Bilder, vom Schmoren in der Hölle für die Bösen und vom Ruhen in Abrahams Schoß für die Guten. Denn ich meine, an solcher schwarz-weiß-Malerei war Jesus nun gerade eben nicht gelegen! Keiner ist nur gut oder nur schlecht! Außerdem würde ja auch die Gleichsetzung von reich = schlecht (ab in die Hölle) und arm = gut (auf in den Himmel) der Wirklichkeit, so wie wir sie erleben, mit ihren vielen Zwischentönen ebenfalls nicht gerecht.
Ich denke, es geht um anderes in dieser Lazarusgeschichte. Der Reiche, er bleibt namenlos, doch der Arme, der bekommt ein Gesicht. Denn er trägt einen Namen, der ist so etwas, wie der verborgene Titel dieser Erzählung: ,Lazarus‘ das heißt: ,Gott hilft‘. Um Vertrauen, um Infragestellung und um Beziehung geht es. Gehen wir der Geschichte noch einmal nach:
Nüchtern wird davon erzählt, daß ein aussätziger Mann vor den Türen eines Reichen lag und auf Hilfe, auf Almosen hoffte. Doch der übersah ihn geflissentlich. Diese Szene ist oft kunstvoll auf Gemälden dargestellt. Der Palast des Reichen, groß mit prachtvollen Gärten, klein der Mann vor der Tür, Hunde lecken ihn ab. Der Hausherr schaut oben aus einem Fenster, halb weg-gedreht, ein Diener macht die Tür zu. Nun sterben beide nacheinander – das ist des Lebens Lauf. Der Arme liegt jetzt in Abrahams Schoß, der Reiche leidet Höllenqualen. Er ist nun derjenige, der um Hilfe und Linderung bittet. Nur ein Tropfen kühlen Wassers.“ Nein“ ist die Antwort. ,,Du hast schon so viel Gutes empfangen, jetzt ist Lazarus dran“. Abraham sagt in unserer Geschichte nicht: ,,Weil du Lazarus nicht geholfen hast, hilft er dir jetzt auch nicht“. Wir hören das oft so, wollen es heraushören, aber gesagt wird es nicht. ,,Es liegen Welten zwischen uns“, sagt Abraham: wie im irdischen Leben, so auch jetzt. Aber der Reiche versteht das schon richtig. Das Diesseits hat mit dem Jenseits etwas zu tun. Für ihn ist es zu spät, aber er hat noch Familie. Die steht ihm sehr nah, er möchte nicht, daß die dasselbe Schicksal erleiden wie er –  und er kennt seine Brüder gut. ,,Hilf doch wenigstens ihnen“,, bittet er Abraham (es wird übrigens immer über Lazarus geredet, nie mit ihm), ,,schick Lazarus wieder zurück, um meine Brüder zu warnen.“ Wieder Fehlanzeige, auch das verweigert Abraham. ,,Es gibt nichts, was sie, die Brüder nicht schon wissen oder wissen müßten. Darüber hinaus ist nichts zu sagen“. ,,Ja, aber“, wendet der Reiche ein und ist dabei sehr hartnäckig, ,,wenn ein Toter lebendig wird, dann wird niemand um den Glauben und das richtige Tun herumkommen“. Ein verlockendes Angebot. ,,Nein ,,, sagt Abraham, ,,jemanden, der nicht glauben will, der nicht schon auf dem Weg ist, wird das auch nicht überzeugen“
II. JA, ABER
Der Reiche ist beratungsresistent, er will nicht sehen, was ihm vor Augen steht, er will auch nicht verstehen. Damals im Leben nicht, da hat er Lazarus übersehen wollen. Und jetzt will er nicht sehen und verstehen, was offensichtlich ist: die Thora, die Propheten, das Gesetz, das allen zu halten aufgetragen ist. Ja, aber … In der Beratungspraxis, so sagen die Psychologen, heißt der Einwand: ~a, aber“ so viel wie ,,Nein!“ Ich kenne das von mir. Ich höre die guten Argumente, aber ich will mich nicht überzeugen lassen: ,ja, aber… ,,Ich weiß, was gut, sogar besser wäre, aber es ist unbequem, also sage ich: ,ja, aber … ,,1 ,,Ja, aber“ heißt: Nein, ich will nicht glauben, ich will nicht hinsehen. Nein, ich will es nicht schwer, ich will es leicht. –
Was mich, liebe Gemeinde, gerade an dieser Geschichte so beeindruckt  ist ihre Sprache. Da ist nichts Besserwisserisches, nichts Moralisches, nichts Auftrumpfendes. Hier wird nur schlicht beschrieben, nirgends gewertet.
Drei Aspekte erkenne ich in dieser Erzählung: Sie ist eine Versuchungsgeschichte, eine Lebensgeschichte, eine Beziehungsgeschichte.
III. a. VERSUCHUNGSGESCHICHTE
Sie erzählt die Geschichte der menschlichen Versuchung:
was ich nicht sehen, berühren, beweisen kann, kann ich nicht glauben: ja, aber …   „Ich würde ja gerne glauben, aber sag mir, wie ich es machen soll“ So klingt es oft. Menschen, die sich für aufgeklärt, modern und auf der Höhe der Zeit glauben, meinen, dass der christliche Glaube eine Form der Rückkehr ins Mittelalter sei, weil sich doch nichts beweisen ließe. Kein Beweis – und der Erzähler des Textes, Jesus, kennt die Menschen gut – würde die Person überzeugen. Gegen das Nichtwollen gibt es keine Beweise, das angebliche Nichtkönnen ist eine leicht zu enttarnende Ausrede, fordert es doch Einsatz.
III. b. LEBENSGESCHICHTE
Und so erzählt die Geschichte auch die Geschichte unseres, meines Lebens. Ich bin nicht der Reiche und nicht Lazarus, ich bin mal der eine, mal der andere. Ich übersehe, was vor Augen liegt und gehe daran vorbei – ich liege vor der Tür und hoffe, dass mich jemand einlässt oder mir doch zumindest ein gutes Wort gönnt. Ich will eindeutige Beweise, sonst kann ich mich nicht einlassen – ich hoffe auch (wie ich meine, zurecht) darauf, einmal in Abrahams Schoß zu liegen. Es ist die Story meines, unseres Lebens.
III. c. BEZIEHUNGSGESCHICHTE
Und diese Story ist eine Beziehungsgeschichte. Jesus erzählt sie denen, die selbstgerecht durchs Leben gehen und sich selbst genug sind — zugegeben, davon gibt es nicht so viele, aber manchmal bin ich das auch. Unser Leben ist auf Beziehung angelegt. Die Geschichte fragt wie die des barmherzigen Samariter: wem bin ich die Nächste? Und nicht: wer ist mein Nächster? Das ist die Frage derer, die nicht sehen wollen, die fragen, statt zu schauen. Wahrnehmung ist immer mehr als bloßes Fragen! Fragen kann ich auch ins Leere. Aber Wahrnehmen heißt Beziehung aufnehmen: Wem bin ich der Nächste?
Der Reiche und Lazarus brauchen sich gegenseitig. Unser Leben ist auf Beziehung angelegt, nur so sind wir Ebenbilder Gottes. Wir sind nicht allein auf der Welt, wir können geben und nehmen, sind arm und reich zugleich – je nachdem. Reich und arm zu sein sind keine Werte und werden nicht gewertet, es sind Zustände, die verpflichten zum Nehmen und Geben. Das ist das, wovon Mose und die Propheten reden: von Beziehungen, von gelungenem und gelingendem Leben und davon, dass niemand für sich allein lebt und leben kann. Wir leben in Beziehungen. Auch eine nicht gelebte Beziehung ist eine Beziehung: zu Gott, zu Menschen, gelungen oder misslungen. Und das kann man nicht beweisen, selbst wenn uns Tote lebendig begegneten, dass können wir nur leben: Und zwar im Vertrauen, in Infragestellung und vor allem und immer wieder in Beziehung zueinander. Und das lehrt mich diese Geschichte Vom reichen Mann und armen Lazarus: meine Lebensgeschichte ist eine Beziehungsgeschichte von Scheitern und Gelingen, von Tod und Leben … und letztlich immer eine Dreiecksgeschichte: Denn Gott ist immer mit im Spiel, so oder so! „Lazarus“: „Gott hilft“!
Und so sei es denn:
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.  Amen.

Eine beeindruckende Predigt