„Geh aus, mein Herz, und suche Freud’ in dieser lieben Sommerzeit“ – wer kennt nicht diesen Choral aus der Feder von Paul Gerhardt, der 1607 im sächsischen Gräfenhainichen geboren wurde und dessen 400. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Mit Inbrunst werden ihn schon viele gesungen haben ungeachtet der fünfzehn langen Strophen. Er ist sozusagen ein Gassenhauer, oder moderner, ein Hit geworden. Hätte es damals schon eine Tourismusindustrie gegeben, hätten die Konzerne viel dafür geboten, dieses Lied in einem Werbespot vermarkten zu dürfen.
Wenn Sie in den nächsten Wochen „ausgehen“, um die Sommerzeit in Gottes weiter Welt zu genießen, dann tun Sie das wahrscheinlich mit den gleichen Empfindungen, wie sie Paul Gerhardt beschrieben hat – einerlei, ob Sie an der See, in den Bergen oder in exotischer Ferne Ihren Urlaub verbringen.
Neben der Natur, das haben Tourismusforscher herausgefunden, interessiert die Kultur die Menschen am meisten. Da wird keine Kathedrale, kein Tempel, kein Schloss und was es nicht alles gibt, ausgelassen. Mag die Hitze auch unerträglich sein, die Sehnsucht nach dem Alten, was Generationen vor uns geschaffen haben, ist offenbar nicht zu stillen. Gerade diejenigen, die mit Geschichte normalerweise nichts am Hut haben, geben sich der Pracht eines alten Palastes oder der Kühle einer hunderte Jahre alter Kirche mit Wonne hin und schwärmen von den kulturellen Taten der damaligen Menschen. Die Bauwerke der näheren Umgebung oder in der eigenen Stadt, ja in der eigenen Gemeinde, beachtet man dagegen kaum. Merkwürdig, aber wahr. Oder wussten Sie, dass unsere Kirche in diesem Jahr ihr 35-jähriges Bestehen feiert?
Zugegeben, das ist vergleichsweise jung, aber dennoch ist gut eine Generation darüber vergangen. Nachdem sich in dem Neubaugebiet „Steinmühlenkamp“ eine Gemeinde gegründet hatte, so ist in der Chronik nachzulesen, wurde am 6. September 1969 der Grundstein für die neue Kirche gelegt. Sie war zugleich als Autobahnkirche für die Durchreisenden gedacht und bekam den symbolischen Namen „St. Christophorus“, dem Schutzpatron der Reisenden. Am 26. März 1972 wurde die Kirche schließlich geweiht und der Gemeinde übergeben.
Mit Birgit Rengel steht schon die vierte Pfarrergeneration auf der Kanzel, und viele der damals für den Bau Verantwortlichen leben nicht mehr. Der Charakter der Gemeinde hat sich in diesen Jahrzehnten außerordentlich verändert. Im Kirchenvorstand tragen heute Menschen Verantwortung, die damals noch Kinder oder Jugendliche waren. Der Generationswechsel ist also trotz der vielen älteren Getreuen unübersehbar.
Auch der Baukörper hat sich seitdem verändert. Auf dem Bild oben rechts fehlt noch das Gemeindezentrum. Für den heutigen Betrachter steht die Kirche noch „nackt“ da. Der Baustoff der damaligen Zeit war der Sichtbeton. Kahle, graue Wände, die durch Einschalungsprofile „aufgepeppt“ wurden, um das Auge nicht müde werden zu lassen. Die Folge davon war, dass Frost und Regenwasser den Beton bröseln ließen, dass hässlich-rostige Eisenarmierungen sichtbar wurden und der Zerstörungsprozess einsetzte. Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen mussten beschlossen werden, um das Bauwerk zu erhalten. Außerdem wurde das kühn geschwungene Dach, das der Kongresshalle in Berlin (der „schwangeren Auster“) nachempfunden ist, schadhaft und musste erneuert werden. Sie sehen, auch in der vergleichsweise kurzen Zeitspanne hat unsere Kirche ihre Geschichte. Niemand mehr würde heute solche Betonbauten erstellen, weder als Schule (davon gibt es auch in Helmstedt ein schlimmes Beispiel) noch als Kirche. Dabei war es der Zeitgeist der Siebziger Jahre, der sich im Baustil ausdrückte. Junge Menschen werden das nicht nachvollziehen können, zumal wenn sie in der „Betonschule“ die Schulzeit verbracht haben.
Insofern wird unsere Kirche selbst sicher bald für den Denkmalschutz ein Beispiel für die „Kirchbaukunst am Ende des 20. Jahrhunderts“ sein!
Sind sie neugierig geworden? Dann lassen Sie sich doch zur Kirchenerkundung verführen. Kommen Sie zu uns und sehen sich um, nicht nur draußen, sondern auch im Innern dieses Architekturzeugnisses. Wenn Sie die Tempel Griechenlands bewundert haben und voll der vielen Eindrücke des Urlaubs sind, machen Sie sich auf den Weg zu einer Kirche, die „nur“ 35 Jahre alt ist, genießen Sie den Gottesdienst oder das Kirchweihfest im September. Auch hier fand und findet Geschichte statt, klein – aber hoffentlich fein.
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud …“ – Wir wünschen Ihnen einen tollen Sommer! Bis zum Wiedersehen beim Kirchweihfest –
Manfred Stoppe